Leseprobe...

Ich weiß, mein Lieber, dass Du an die Unentbehrlichkeit des Kredits noch nicht so recht glaubst. Stimmt das? Falls es tatsächlich so sein sollte, möchte ich Dich bitten, Dir einmal den Verkehr in einem ganz primitiven Negerstaat Innerafrikas vorzustellen. Die Einwohner dieses Staats müssen von irgendetwas leben, das siehst Du doch ein? Ein Teil der Bevölkerung geht also auf die Jagd, um Fleisch zu beschaffen; ein zweiter Teil treibt Viehzucht der Milch wegen; ein dritter Teil baut Mais, der arbeitsfähige Rest, soweit er nicht zur Leibgarde des Häuptlings gehört, schüttelt Kokosnüsse, schneidet Bambusrohr und Palmblätter zum Hüttenbau oder holt Wasser aus der nahen Oase. Eine noch primitivere Wirtschaftsführung ist wohl kaum denkbar.

Nun stelle Dir, Hirte, folgenden alltäglichen Verkehrsakt vor: Ein Viehzüchter, der über nichts anderes als seine Herde Rinder verfügt, braucht verschiedene Gegenstände, und zwar einige Palmblätter zum Ausbessern seines Viehstalles, etwas Mais für das tägliche Brot und Wasser für seine Kühe.

Wie kommt dieser Kauf zustande? Der nächst liegende Weg, der des glatten Tausches, ist in diesem Falle nicht gangbar, denn jedes Stück Vieh, das der Viehzüchter in Tausch geben kann, ist hundertmal mehr wert als die Palmblätter, der Mais und das Wasser. So viel Palmblätter, Mais und Wasser, wie auf ein Rind kommen, haben die Verkäufer gar nicht vorrätig, und wenn sie es hätten, was sollte wohl der Viehzüchter mit diesen Mengen beginnen? Zum mindesten das Wasser würde schon nach ein paar Tagen verdorben sein. Es bleibt daher den Parteien, wenn sie zum Abschluss kommen wollen, nur der Ausweg übrig, dass eine der anderen den Gegenwert ihrer Leistung stundet[1].

Entweder liefern der Palmensucher, der Wasserträger, der Maisbauer ihr geringes Produkt dem Viehzüchter zunächst ohne Gegenleistung, wobei sich dieser verpflichtet, seinen Bedarf laufend bei ihnen zu decken, und später, wenn die Lieferungen von Palmblättern, Wasser und Mais einen entsprechenden Wert erreicht haben, die ganze Schuld auf einmal durch Hergabe von Rindern abzutragen; oder aber der Viehzüchter liefert dem Palmensucher, dem Wasserträger und dem Maisbauer je ein Rind, wogegen diese sich verpflichten, ihn nach Bedarf mit ihren Produkten zu versehen, und zwar solange, bis der Wert der Produkte den Preis eines Rindes erreicht hat. In beiden Fällen gewährt die eine Partei der anderen – Kredit.

Aber, so höre ich Dich einwenden, zwischen Dir und Deinem Bäcker sei das ganz anders, schließlich bezahlst du an der Theke mit Geld. Weit gefehlt, mein Sohn. Ließ weiter!

1 stunden: eine Zahlungspflicht verlängern, den Zahlungstermin in die Zukunft verschieben

<< zurück | weiter >>